Wenn man lernen würde, über den Duden hinaus zu blicken...

... wie die "Outsider" der Literaturbranche neue Möglichkeiten bieten 

Wer kennt es nicht, große Buchpreisverleihungen sind weltweit über das ganze Jahr verteilt zu finden. Die Nominierten haben jedoch oft eines gemeinsam: die Romane schießen an dem Geschmack der jungen Leser meilenweit vorbei und wirken einseitig und fade. Aber Romane aus gern herabgewürdigten bzw. verpönten Genres wie zum Beispiel Fantasy, Romance oder Mystery, schaffen es hingegen nur selten auf die Shortlist der "genrelosen" Buchpreise.




Doch gerade diese "leichte Lektüre", wie man sie gerne nennt, bietet viel Potenzial und neue Innovationen, die der eine oder andere Leser bei der "gehobenen" Preisträgerlektüre missen mag. Mit ihren ungewöhnlichen, anstößigen und herausfordernden Themen können diese "Outsider" direkt oder auch indirekt aktuelle Themen, mögliche Zukunftsszenarien oder auch geschichtliche Schwerpunkte bearbeiten, ohne penetrant den Finger des Appells dem Leser ins Gesicht zu halten, oder sich dem Mainstream beugen zu müssen.

Denn sein wir doch ehrlich, wer von der jüngeren Generation, würde im Deutschunterricht nicht lieber einen moderneren Fantasy, Science-Fiction,... Roman wie Susan Collins' "die Tribute von Panem", um ein bekanntes Beispiel zu nennen, anstelle von "der Vorleser" oder "Faust" lesen, welche vom ersten Moment an durch ihre trockene, veraltete und offensichtliche Weise, jede Vorfreude auf eine spannende Handlung und unvorhersehbare Wendung zerstören und ab dem ersten Satz appellieren wollen.
Das soll keines Falls heißen, dass bedeutende literarische Werke unserer Geschichte schlecht sind, oder gar aus den Lehrplänen verschwinden sollen. Nein, denn sie zeigen eine andere Lebensweise und wichtige Ereignisse unserer Vergangenheit, in einer unmöglich nachzuahmenden Art und Weise auf, von der wir auch heutzutage etwas lernen können.
Viel mehr zeigt dieses Beispiel, einen Trend, der sich seit Jahren in der Buchbranche verbreitet. Die wirklich bekannten Bestsellerromane und Preisträger kann man meist -barsch ausgedrückt- in zwei einfache Kategorien einteilen.

Zum einen gibt es jene Bücher, die sich, wie bereits erwähnt, mit wichtigen und aktuellen Schwerpunkten, wie beispielsweise der Flüchtlingskrise oder dem Zweiten Weltkrieg befassen, und dabei durch ihre ständigen, bedrängenden und belehrenden Moralappelle eine bedrückende, wenn nicht sogar abschreckende Wirkung besonders bei "jungen/modernen" Lesern hervor rufen, was beim besten Willen nicht die beste Voraussetzung für ein interessiertes und vor allem für die Thematik offenes Lesen ist.

Die zweite mögliche Kategorie ist das "wiederkäuen" einer einst so populären und erfolgreichen Idee. Man bräuchte vermutlich mehrere Wochen um sämtliche veröffentlichte "Twilight"-Kopien oder "Harry Potter"-Varianten zu listen. Verlage verlassen sich gern auf eine bewährte und verkaufsfreudige Idee, obwohl neue und einzigartige Geschichten unbekannter/kleiner Autoren, die noch frei von jeglichem Erfolgsdruck sind, womöglich einen ebenso großen, vielleicht sogar größeren, Impact auf das Interesse der Leserschaft und deren Einfluss auf die Vermittlung aktueller Probleme hat.

Und über kurz oder lang ist man doch wieder bei der Hauptthematik angelangt: Viel zu viele Möglichkeiten und Ideen gehen durch den starren Blick der bewährten Weltliteratur in der Versenkung verloren, ohne dass ihnen je eine Möglichkeit gegeben wurde. Und immer noch stellt sich mir die Frage, warum Juroren,Verlage usw. der "leichten Lektüre" mit ihren ebenso interessanten Ansichten nicht auch die Chance geben, mit den großen der Branche um das Publikum zu kämpfen.

Denn nicht gerade wenigen fällt es leichter die Ereignisse einer fiktiven Welt mit schon fast irrwitzigen Handlungen durch Parallelen auf die heutigen Kulturen und Werte zu übertragen, ja vielleicht sogar auf lange Sicht im Kopf zu behalten. Anders als die typischen "Schulromane" bieten sie nämlich häufig keine strickten Lehren, sondern viel mehr einen Ausgangspunkt, welcher der Fantasie freie Hand lässt und die verschiedensten Möglichkeiten als Endprodukt bereithält.

Das liebste und einfachste Beispiel dafür ist mir die "Warrior Lover" Reihe der deutschsprachigen Autorin Inka Loreen Minden, die in ihren dystopischen Romanen die Leser in eine durch den dritten Weltkrieg verstrahlte Welt entführt.

Ob die diktatorischen Kuppelstädte, die Berufszuteilung nach den genetischen Anlagen, die genmanipulierten Krieger oder die an das alte Rom angelehnten "Spiele", welche Vergewaltigungen, Mord und Folter zur Belustigung des Volkes erlauben.
Das alles sind Dinge, die man in der heutigen Welt unter Einbeziehung des gesunden Menschenverstandes für unmöglich hält. Sobald man jedoch auch nur zwei Minuten lang über mögliche Gründe für diese dunkle Zukunft in Mindens Romanen nachdenkt, kann man erkennen, dass nur wenige Jahre ausreichen würden, um diese Fiktion zu Realität werden zu lassen.

Doch wo sind die Bewohner fremder Planeten, die mit der Flut Hilfe suchender, flüchtender Rassen fremder Sonnensysteme zu kämpfen haben, und dabei den feindlichen Angreifern unter ihnen entgegenwirken müssen?

Wo sind die alternativen Realitäten, in denen die Zukunft, durch ein jahrhundertealtes diktatorisches Glaubenssystem, traumatisch verändert wurde?
Wo sind die provokanten Ideen über ein kleines Mädchen in einer postapokalyptischen Umgebung, das für sein Überleben mordet und die skurrilsten, "abartigsten" Entscheidungen trifft, damit es an einen besseren Ort gelangt?
Und wo sind die Geschichten über einen homosexuellen Sklaven, der für seinen Wunsch zu leben, frei zu sein, gegen seine Herren rebelliert und alles für seine Brüder im Geiste riskiert?

...Auf jeden Fall nicht in den meisten Longlists und Shortlists, nicht in den Spiegel Bestsellerlisten, ...


Es gibt so viel Wege die unendliche Vielfalt unserer irdischen Probleme zu beschreiben, durch ungewöhnlich Methoden und den Mut seinen eigenen Gedanken den Platz zu gewähren, den sie verdienen. (Und dabei sind meine oberflächlichen, überspitzten Vorschläge nur ein Sandkorn in der Weite der Sahara)

Was ist also so falsch daran, komplexe Themen mithilfe fantastische, futuristische,... Elemente darzustellen und damit der Zielgruppe den Zugang zur Thematik zu vereinfachen? Weshalb zählen entsprechende Werke durch diesen Coup nicht mehr zu "ernst zu nehmender Literatur", obwohl ihr Schwerpunkt weiterhin auf brisanten Ereignissen liegt?
Zwei einfache aber berechtigte Fragen, die man sich auf der Zunge zergehen lassen kann. Immerhin sollte man diese Romane aufgrund ihrer Fähigkeiten, ein generationenübergreifendes Interesse zu wecken und die entsprechenden Schwerpunkte derartig kreativ umzusetzen, erst recht "ernst nehmen" und als Brücken schlagendes Medium zwischen verschiedenen Ansichten in der Literatur nutzen.

Wenn man also beginnen würde, über den Buchrücken des Dudens hinaus zu blicken und sich auch mit "neuen"/"verrückten" Ideen zu befassen, so könnte man sich vielleicht bald auf lebendigere und vielfältigere Nominierungen dieser Romane außerhalb der Genre typischen  Buchpreise freuen. Denn was spricht schon dagegen, etwas Neues zu probieren ... außer die Angst vor Veränderung?

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